- 26. April 2021
- Antifaschismus, Gedenken
Erinnerung an den Mühldorfer Todesmarsch
Ein Bericht der Jusos Mühldorf, geschrieben von Max Wiltschka.
Teil 1 – Wir betreten das ehemalige Waldlager V/VI Mühldorf, einer Außenstelle des Konzentrationslagers Dachau.
Das Wetter ist dem Zweck unseres Besuches entsprechend. Aprilkälte und ein bedeckter Himmel begleiten uns zu unserem Gedenken an den Jahrestag des Todesmarsches und der Befreiung des Waldlagers und den Überresten des Ortes, an dem unvorstellbare Gräuel geschahen.
Aufgebaut wurde das Lager V von den ersten dort inhaftierten, größtenteils jüdischen, Männern im Juli 1944. Zunächst war es als ein reines Männerlager ausgerichtet. Die Häftlinge sollten den Aufbau der unterirdischen Flugzeugfabrik im Mühldorfer Hart voranbringen. Im zweiten Waldlager, dem Waldlager in Mettenheim, wurde indes an einer Flugzeugwerkstatt für Kriegsflugzeuge gebaut, selbstverständlich auch durch die Häftlinge. Nach einer Erweiterung entstand schließlich das Lager VI. Das Frauenlager wurde als Teil des Lagerkomplexes V/VI angesehen. Zwischen dem 13.01.1945 und dem 19.04.1945 lebten und arbeiteten ca. 250 Frauen im Waldlager. Auf einer Fläche von 375 x 450 Metern waren die Gefangenen in hoffnungslos überfüllten Sommer- und Winterlagern zusammengepfercht, eingezäunt von einem Tag und Nacht bewachten doppelten Stacheldrahtzaun.
Berichten von ehemaligen Häftlingen und des Aufsichtspostens zufolge wurden die „Arbeiter“ bis zu 12 Stunden zuzüglich vieler Überstunden mit härtesten Arbeiten – ohne nennenswerte Arbeitspausen gequält. Auch die täglichen Appelle sowie das Ausrücken zu Arbeitseinsätzen nagten schwer an den Kräften der Häftlinge. In den mit Menschen vollgestopften Baracken breiteten sich Krankheiten besonders schnell aus, zudem wurde vor allem in den Wintermonaten keinerlei Winterkleidung an die Zwangsarbeiter ausgeteilt. Die zu erbringenden, zermürbenden Arbeiten verfolgten größtenteils keinerlei rationalem Zweck – außer der Qual und der systematischen Vernichtung von Menschen, deren Tod mehr als nur in Kauf genommen, nein, gar gefördert wurde – für die meisten körperlich kaum zu bewältigenden Tätigkeiten hätte es – teils sogar in unmittelbarer Umgebung – Maschinen gegeben. Auch durch minimale Nahrung (von der sich die SS-Wachposten noch einiges abzweigten) war systematische Unterernährung an der Tagesordnung, genauso wie gewalttätiges Verhalten des schon aus anderen Lagern als extrem gewaltbereit bekannten Wachpersonals, auch und insbesondere gegenüber den Kranken und den weiblichen Häftlingen. Schikanen bis hin zur Verwendung von Menschen als Nutztiere zum Ackerbau waren sinnbildlich für den „Alltag“ im Waldlager.
Im März 1945 rückten die Aliierten immer näher an den Lagerkomplex Mühldorf heran, was die dort stationierte SS dazu bewog, die verbleibenden ca. 3600 Häftlinge am 27.04.1945 in Richtung Tirol „evakuieren“ zu wollen, mit dem Ziel keinen der Häftlinge mit dem Leben davonkommen zu lassen. In Viehwagons fuhren die meisten von ihnen aus Mühldorf weg, einige nicht transportfähige Häftlinge blieben im verlassenen Waldlager. Auf dem Weg wurde der Transport gestört: Viele Häftlinge versuchten zu fliehen, jedoch gerieten diese in einen Angriff der amerikanischen Luftwaffe, die einigen von ihnen kurz vor Kriegsende das Leben kostete. Beim nächsten Halt schließlich wurde der Transport von einer amerikanischen Militärkolonne gestoppt – und die Häftlinge von den Aliierten befreit. Auch die Notversorgung der teils schwerkranken Menschen organisierten die Aliierten. Die im Waldlager verbliebenen Häftlinge befreiten sie kurze Zeit später ebenfalls. Die Zahl der Toten in den beiden Waldlagern konnte auf 2.249 gezählt werden, die Dunkelziffer wird jedoch auf bis zu 4.000 Tote geschätzt – alle verscharrt in den Massengräbern.
Die meisten Häftlinge stammten aus Ungarn. Weiterhin sprechen die Berichte von einigen griechischen Juden sowie serbischen, polnischen und französischen, deutschen, russischen und italienischen Staatsbürgern.
Wir beginnen unser Gedenken an der ersten Informationswand, und bahnen uns unseren Rundweg durch das ehemalige Lager. Vorbei an den Überresten von Barackenbauten, Latrinen, dem Appellplatz bis hin zum Massengrab. Immer wieder halten wir inne und legen zum Gedenken Steine nieder.
Mit zwei dort inhaftierten jüdischen Männern sowie mit der Lebenssituation für Frauen und Kinder in diesem Waldlager bzw. im Lager Mettenheim haben wir uns näher befasst…
Teil 2 – Dr. Imre Bródy
Der 1891 im ungarischen Gyula geborene, hoch gebildete Mathematiker, Physiker und Lehrende war bereits 1921 für kurze Zeit mit seiner Ehefrau und seiner Tochter nach Göttingen emigriert, nachdem er in seiner ungarischen Heimat im Jahre 1919 an seinem Arbeitsplatz, der „Bürgerschule“ in Budapest auf Veranlassung des dortigen Direktors im Angesicht der Machtübernahme der Kommunisten (= Räterepublik) einen wissenschaftlichen Vortrag über Sozialismus und Kommunismus abhielt.
Nach dem Fall der Räterepublik folgte die Strafe für dieses Verhalten auf dem Fuß, mit drastischen Folgen das weitere Leben des Dr. Imre Bródy: Er wurde als für den Schuldienst ungeeignet erachtet und schuldig gesprochen, kommunistisches Gedankengut verbreitet zu haben und als Folge dessen wurden ihm finanzielle Zuwendungen im empfindlichen Umfang gestrichen.
Mit Hilfe einiger seiner Unterstützer erhielt er schließlich in Göttingen eine Stelle als wissenschaftlicher Privatassistent an der dortigen Universität am Lehrstuhl für theoretische Physik, welche er bereitwillig antrat.
Bereits 1923 musste er jedoch schwer erkrankt wieder in seine ungarische Heimat zurückkehren, erneut begleitet von seiner Familie.
Dr. Imre Bródy arbeitete in Ungarn ab 1924 als Angestellter bei der Firma Tungsram. Dort machte er sich durch aufsehenerregende Entdeckungen bezüglich des für die Glühlampenherstellung benötigten Gases Krypton schon bald einen großen Namen. Mit diesem Gas verbesserte er insbesondere die Leuchtkraft der Glühlampen im Vergleich zu bisher benutzten Gasen. Außerdem erfand er eine Methode, das bisher immens teure Krypton sehr kostengünstig herzustellen und somit das Produkt der Glühbirne für den breiten Markt erschwinglich zu machen.
Nachdem in den Jahren 1937/38 auch in Ungarn durch mehrstufige Judengesetze die Shoa einsetzte, arbeitete Bródy nach wie vor im Unternehmen. Nach nach dem Angriff Ungarns auf Jugoslawien und der damit verbundenen Rückgewinnung von 1920 verloren gegangenen Gebieten erhöhte sich die Zahl der Juden in Ungarn schlagartig um ein Vielfaches, was eine Verschärfung der Rassengesetze zur Folge hatte. Dementsprechend konzentrierten die Machthaber die meisten Juden in Budapest bereits ab dem 15. Mai 1944 in einem Ghetto. Da Dr. Imre Bródy jedoch im Außenbereich Budapests lebte und arbeitete, zählte er nicht zu ihnen.
Sein Arbeitgeber erreichte für alle dort in Führungspositionen tätigen Juden, dass diese den gelben Judenstern, dessen Tragen ab diesem Zeitpunkt zur Pflicht eines jeden Juden zählte, nicht tragen mussten. Überhaupt versuchte die Firma, die dort beschäftigten ca. 400 Juden bestmöglich zu schützen. Deshalb musste Dr. Bródy auch nicht zum sog. Arbeitsdienst antreten, zu dem alle Juden verpflichtet wurden. Für 13 Personen konnte sein Arbeitgeber sogar die Deportation abwenden. Auch Bródy hat von seinem Arbeitgeber, der ihn aufgrund seiner großartigen Leistungen sehr schätzte, ein entsprechendes Angebot erhalten, auf diese Liste aufgenommen zu werden. Da ihm jedoch bewusst war, dass seine Familie darin nicht inbegriffen war, schlug er das Angebot aus.
Am 03. Juli 1944 wurde er verhaftet und in ein ungarisches Sammellager verbracht. Im wahrscheinlich letzten Deportationszug verließ er am 09. Juli 1944 das Sammellager und wurde in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau transportiert.
Aufzeichnungen des Konzentrationslagers Dachau entsprechend, wurde er – zusammen mit ca. 1.000 ungarischen Juden – von Auschwitz-Birkenau nach Dachau gebracht. Dort wurde ihm die Häftlingsnummer 109167 zugewiesen.
An welchem Tag genau Dr. Imre Bródy in das KZ-Außenlager M1 Mettenheim – Lagergruppe Mühldorf – einer Außenstelle des KZ Dachau – verbracht wurde, steht nicht abschließend fest. Am 21.09.1944 verlegte man ihn von dort aus in das Waldlager V.
In diesem Arbeitslager sollte das Projekt „Weingut I“ – ein Rüstungsbunker für die Produktion des Jagdflugzeuges Me 262 entstehen, für dessen Herstellung die Häftlinge verantwortlich sein sollten.
In dem im August 1944 entstandenen Waldlager V/VI schuftete auch Dr. Bródy unter erbärmlichsten Lebensbedingungen, in Massenunterkünften, die den Namen Unterkunft nicht verdienten, ohne nennenswerte Nahrung und bei extrem harter Arbeit – die Überlebenschance der Häftlinge betrug dadurch nur in etwa 3 – 4 Monate. Bei seiner Registrierung gab er als seinen Beruf „Tischler“an – eine kluge Taktik, da Handwerkern in diesem Lager oftmals leichtere Arbeiten zugewiesen wurden. Er wurde am 11.11.1944 krankheitsbedingt in das Lager M1 – Mettenheim 1 – verlegt. Dort verstarb er am 25.11.1944 in der Lazarettbaracke.
Seinen Leichnam verscharrten die Lageraufseher im Massengrab. Erst die amerikanische Militärregierung sorgte für die würdige Exhumierung und Bestattung der zu Tode gequälten ca. 4.000 Zwangsarbeitern auf KZ-Friedhöfen. Diese überwachte die Durchsetzung des Befehls und überwachte die Arbeiten. Eine Identifizierung der vielen zu Tode gequälten Inhaftierten war zu diesem Zeitpunkt freilich nicht mehr möglich.
Seine Freunde, Arbeitskollegen und Weggefährten beschrieben Dr. Imre Bródy als sehr hilfsbereiten, freundlichen, bescheidenen und zurückhaltenden Menschen.
Dr. Imre Bródy hat seine Ehefrau und seine Tochter seit seiner Deportation aus Ungarn nicht mehr gesehen. Höchstwahrscheinlich erstickten sie erbärmlich im Zuge einer Vergasungsaktion im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau in einer der vielen Gaskammern.
Um sie nicht allein zu lassen, nahm er einen für uns unvorstellbar harten, beschwerlichen, menschenunwürdigen und zum Schluss tödlichen Weg auf sich, indem er sich eben nicht auf die Verschonungsliste seines Arbeitgebers hatte setzen lassen.
Dass wir auf diesem Boden stehen – heute, 2021, auf dem er unter diesen Bedingungen Zwangsarbeit leistete und sich für eines der unmenschlichsten Vorhaben der Geschichte zu Tode schuftete, ruft uns zur Mahnung auf, bringt uns das Schicksal mehrerer Tausend Menschen näher und wird uns in unserer politischen Arbeit stets begleiten.
Teil 3 – Max Mannheimer
Max Mannheimer wurde am 06.02.1920 in Neutitschein/Mähren (heute: Tschechische Republik) als ältestes von fünf Kindern in eine deutsch-jüdische Familie hineingeboren. Bereits in seiner Jugend konnte er die ersten Anzeichen eines aufkeimenden Nationalsozialismus erkennen.
Nachdem am 10. Oktober 1938 das Sudetenland von den Nationalsozialisten annektiert wurde, vor allem aber durch die sog. Reichskristallnacht am 10. November 1938, änderte sich das Leben von Max Mannheimer schlagartig. Er musste die Plünderung der Synagoge sowie die Demolierung des väterlichen Betriebes mit ansehen – und hat die Verhaftung seines Vaters miterlebt. Seine eigene Verhaftung verhinderte seine Mutter nur mit vereinten Kräften und jede Menge Weitblick.
Bis Anfang des Jahres 1943 lebte die Familie nach der Freilassung des Vaters in Ungarisch-Brod, wo Max Mannheimer 1942 heiratete. Etwas Geld für die nunmehr arme Familie konnte er sich in dieser Zeit durch die harte Arbeit im Straßenbau verdienen. In seinem ursprünglichen Beruf als Händler durfte er zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr arbeiten.
Wie bereits viele Juden vor ihnen, wurde auch die Familie Mannheimer im Januar 1943 nach Theresienstadt gebracht, von wo aus sie direkt weiter im Personenzug an die Todesrampe des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau transportiert werden. Offiziell wurde dieses Unterfangen als „Arbeitseinsatz“ tituliert.
An dieser Todesrampe sah Max seine Frau, seine Mutter und seine Schwester zum letzten Mal. Sie alle wurden umgehend in den Gaskammern vergast. Offiziell „reisten“ die Schwester in einen „Kindergarten“, die Frau und Mutter in ein „Frauenlager“; das Lagerpersonal sagte Max zu, er dürfe zumindest seine Frau immer sonntags besuchen. Dazu kam es natürlich nie. Auch sein Vater viel aufgrund seines Alters sofort der Gaskammer zum Opfer.
Er selbst und seine beiden Brüder wurde im „Arbeitslager“ – zunächst in Birkenau und später in Auschwitz – mit tausenden weiteren Häftlingen in Baracken gepfercht und menschenunwürdig versorgt. Wachmänner stachen ihm seine Häftlingsnummer 99728 unter die Haut. Er wird sie sein ganzes weiteres Leben bei sich tragen – und dadurch stündlich an die Gräuel seines jungen Lebens erinnert werden. Die Häftlinge wurden erbittert mit härtesten Arbeiten, sinnlosen Appellen und Züchtigungen drangsaliert. Durch die harte Selektierung von kranken Häftlingen, die in die nahegelegene Gaskammer verbracht wurden, verlor er einen seiner Bruder Ernst.
Anfang Oktober 1943 wurde er, gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Edgar, in das Warschauer Getto gebracht. Dort hatte Max Glück im Unglück: er konnte in der Verwaltung arbeiten und blieb somit von der körperlichen Arbeit eine Zeit lang verschont.
Am 27.07.1944 brach eine große Gruppe von Häftlingen, darunter auch Max und sein Bruder Edgar, zu Fuß Richtung Kutno auf. Von dort aus ging es mit dem Güterzug in das Konzentrationslager Dachau. Im dortigen Außenlager Karlsfeld war Max gezwungen, schwerste körperliche Arbeit zu verrichten. Nach einer Krankheit teilte man ihn zum Leichentransport ein. Er beförderte mit mehreren Mithäftlingen die Leichen der durch die harte Arbeit verstorbenen oder von der SS erschlagenen Menschen – darunter auch viele Frauen – in das Hauptlager nach Dachau.
Das Kommando, welchem auch sein Bruder angehörte, wurde im Januar 1945 in das Außenlager Mühldorf – ins Waldlager Mettenheim – verlegt. Max selbst gehörte diesem Kommando jedoch nicht an. Gleichwohl wollte er nicht von seinem jüngeren Bruder getrennt werden, sodass er sich zwei Wochen später freiwillig für den nächsten Transport in Richtung Mühldorf meldet. Das aus seiner Sicht sehr kleine Lager in Mühldorf erreichte er einige Tage später mit dem Güterzug. Er wurde in einer Holzbaracke untergebracht und arbeitete an der Errichtung der unterirdischen Flugzeugfabrik mit. Aufgrund der sehr schlechten hygienischen Verhältnisse erkrankte er an Fleckentyphus. Dem Sterbelager in Kaufering bei Landsberg, in welches die sterbenskranken Häftlinge von Mühldorf aus gebracht wurden, konnte er jedoch entgehen.
Am 28. April 1945 schließlich erreichte die Lageraufsicht aufgrund der nahenden Aliierten der Befehl zur Räumung des Lagers Mühldorf. Immer noch geschwächt von seiner Krankheit hatte Max Mühe, den für die Häftlinge bereitstehenden Güterwagen auf den Gleisen zu besteigen. Zum ersten Mal seit Jahren bestand die Begleitung auf diesem Abtransport nicht nur aus SS-Soldaten, sondern auch aus Wehrmachtssoldaten. Während eines Haltes des Wagens in Poing war der Wagon samt Insassen Opfer eines plötzlichen amerikanischen Tieffliegerangriffs. Fluchtartig verließ Max mit den anderen Häftlingen das Fahrzeug und lief auf das nahegelegene Feld. Bei diesem Fliegerangriff des US-Militärs kamen noch einmal einige Häftlinge ums Leben. Der Transport konnte fortgesetzt werden, bis dieser auf offener Strecke erneut zum Stehen kam. Eine amerikanische Militärkolonne direkt vor ihrem Fahrzeug läutet die Freiheit der wenigen Überlebenden ein. Es war der 30. April 1945.
Eigentlich wollte Max Mannheimer nach den schrecklichen Erlebnissen in den Arbeits- und Konzentrationslagern nie wieder in Deutschland leben, sondern auswandern. Der Liebe wegen blieb er dann doch in Deutschland – und fand seinen Platz im in der Gesellschaft. Als Zeitzeuge veranstaltet er bis ins hohe Alter Führungen durch das Konzentrationslager Dachau. Viele Schüler durften ihm und seinen Berichten lauschen. Stets betonte er, als Zeuge der Zeit – nicht als Ankläger oder Richter, ohne Hass und Vorurteile – unterwegs zu sein. Diese Einstellung öffnete ihm viele Türen, die er stets für die gute Sache nutzte.
Am 23.09.2016 schließlich starb er 96-jährig in München.
Seine Botschaft
"Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon."
hat ihn überlebt.
Ein hoher Anspruch, dem wir selbstverständlich versuchen, stets nachzukommen, der uns in unserer politischen Arbeit – besonders auch in der heutigen Zeit – immer wieder neu antreiben kann.
Teil 4 – Frauen und Kinder im Lager
Oft wird vergessen, dass sich unter den tausenden KZ-Häftlingen im Waldlager auch viele Frauen befanden. Bis zu 282 Frauen wurden im Waldlager als Arbeitskräfte eingesetzt und unter entsetzlichen Bedingungen menschenunwürdig untergebracht. Etwa 90 % von Ihnen waren jüdischen Glaubens.
Genauere Informationen über die vielen Frauen sind leider meist nicht vorhanden, jedoch existiert eine Liste von fünfzig Frauen, welche als letzte dem Waldlager zugewiesen wurden. Einige von Ihnen kamen aus dem Lager Mettenheim. Von einigen ist sogar der frühere Beruf bekannt.
Auch die inhaftierten Frauen waren größtenteils ungarische Staatsangehörige. Über mehrere Stationen trieb man sie in das Konzentrationslager Dachau, von dort aus transportierte man sie weiter in diverse Außenlager, so auch in das Waldlager nach Mühldorf. Besonders für sie gestaltete sich der Transport nach Mühldorf als sehr mühsam. Lange Fußmärsche und überfüllte Eisenbahnwaggons zehrten an den Kräften der Frauen. Da sie nur das nötigste aus ihrer Heimat mitnehmen durften, fehlte es ihnen an allem: Kleidung, medizinischer Versorgung und Nahrung.
Schnell gliederte man die Frauen in den Arbeitsprozess des Waldlagers mit ein. Dabei zwang man vor Allem die jüdischen Frauen zu körperlich kaum bewältigender Arbeit. Vom Entladen von bis zu 100 schwerer Zementsäcke pro Frau und Tag wird berichtet. Konnten die Frauen dies nicht durchstehen, waren sie dem Tode geweiht. Die wenigen nicht jüdischen Frauen arbeiteten indes zumeist in der Lagerverwaltung mit.
Für die ersten Frauen im Waldlager stand noch nicht einmal eine Baracke bereit, sie schliefen die erste Zeit ohne Licht in Erdlöchern und wurden kaum mit Nahrung versorgt. Sie nächtigten ausschließlich auf Strohmatten. Spezielle Latrinen waren für Sie noch nicht gebaut worden. Oftmals rief man sie auch nachts zum Arbeitsdienst, um ankommende Materiallieferungen abzuladen, sodass die meisten der dort arbeitenden Frauen nur wenige Wochen im Lager überlebten oder so schwer erkrankten, dass sie sich für das Lager als nicht mehr nützlich erwiesen und als lästiger Ballast schnellstmöglich „weitergeschickt“ (heißt: vergast) wurden.
Vor allem die für die harte Arbeit eher zu schwachen Frauen waren den Wachposten hilflos ausgeliefert. Viele Aufseher nutzten ihre auf Leben und Sterben fixierte Machtposition aus und misshandelten und demütigten die auf das Schlimmste. Zeitzeugen berichten auch von sexuellen Übergriffen ebenso von Szenarien, in denen sich die Frauen vor den männlichen Wachposten entkleiden mussten.
Auch die SS setzte teilweise Frauen als Wachposten für die Arbeiterinnen ein. Ausgewählt wurden solche Frauen, die sich bereits in anderen Lagern (insbesondere Auschwitz-Birkenau) durch besondere Brutalität auch gegenüber männlichen Häftlingen ausgezeichnet hatten. Diese Brutalität setzten sie ohne Hemmungen auch gegen die Frauen ein. Dass sie von Glück sagen können, nicht an der Stelle der weiblichen Häftlinge zu stehen, beeindruckte sie dabei laut Zeitzeugenaussagen gar nicht (oder zumindest nicht offensichtlich nach außen, was auch deren Todesurteil bedeutet hätte).
Besonders die schwangeren Frauen und junge Mütter im Waldlager hatten mit enormen menschengemachten Schicksalsschlägen zu kämpfen. Einige von Ihnen wurden als „zur Arbeit ungeeignet“ in eines der nächsten Vernichtungslager überstellt, immer unter dem Vorwand, dass dort auch für ihre Kinder gesorgt werden würde. Wie auch aus allen anderen Berichten aus dieser Zeit schnell klar wird, hat keine der Frauen jemals ein solches „Frauenlager“ lebend verlassen können.
Im Waldlager kamen laut Zeitzeugenberichten zwei Kinder zur Welt: Eines davon, ein Junge, welcher auf Befehl einer SS-Aufseherin von einer Inhaftierten in einem Wasserkübel brutal ertränkt werden musste. Er wurde im Massengrab mit den gerade erst verstorbenen Gefangenen begraben. Ein Mädchen aus dem Lager Mettenheim verdankt ihr Überleben wohl den bereits nahenden amerikanischen Truppen, welche schlussendlich auch die Befreiung der Häftlinge herbeiführten. Die Aufseher hatten es nicht mehr gewagt, auch das kurz vor der Ankunft der Truppen geborene jüdische Mädchen zu ermorden. Lange klärte sich nicht, um wen es sich bei dem überlebenden Mädchen handelt. Erst 70 Jahre nach Kriegsende meldete sich eine Frau. Lynn Farbman wusste, dass sich ihre Eltern im Waldlager kennenlernten und wollte mehr über ihre Herkunft erfahren. Nach umfangreichen Recherchen, auch in den Unterlagen des sog. Mühldorfer Prozesses, stellt sich heraus, dass Lynn wohl tatsächlich das kleine Mädchen, das damals von ihren Eltern wohl noch Hannah genannt wurde, ist.
Dass sie überlebt hat, grenzt an ein Wunder. Ein kleiner Lichtblick zum Abschluss unserer Recherchen.
Teil 5 – Ende
Unser Rundgang durch die letzten Erinnerungsorte im Wald geht zu Ende. Noch einmal spazieren wir vorbei an dem ehemaligen Appellplatz, den letzten Resten des ehemaligen Bunkergeländes und den Denkmälern.
Hätten wir vor 80 Jahren gelebt, wären wir womöglich auch in einem Lager inhaftiert worden?
Die Meinungen gehen auseinander. Ich (der Autor) für meinen Teil bin mir sicher – ich wäre dabei gewesen, nicht der Religion wegen, aber aus anderen Gründen – das spukt mir schon längere Zeit im Kopf herum.
Der Wald lichtet sich wieder. Die Lichtung, aus der wir den Wald betreten hatten, taucht vor uns auf. Als freie Menschen betraten wir das Gelände – und genau so frei können wir es wieder verlassen. Wie viel hätten die Häftlinge vor knapp 80 Jahren nur dafür gegeben. Dieses Privileg wissen wir am Ende unseres Gedenkgangs zu schätzen.
Dies auch für die Zukunft zu bewahren, liegt auch in unserer Hand – und eines ist sicher: Alles nur irgendwie in unserer Macht stehende werden wir für ein freies und tolerantes Leben auch anpacken und vollenden – für uns selbst und die folgenden Generationen.