Nun ist es wieder soweit! Der Ball rollt und fast jede*r interessiert sich für Fußball! Ja, am vergangenen Donnerstag hat die Fußball-Weltmeisterschaft begonnen. Schon seit langem ist Fußball mehr als nur ein Sport, bei dem 22 Männer* oder Frauen* einem Ball hinterherlaufen und versuchen, den Ball im gegnerischen Tor unterzubringen.
Fußball ist ein gesellschaftliches Phänomen. Er verbindet Menschen und Kulturen miteinander und schafft es, dass Menschen zusammenkommen und gemeinsam friedlich ein Fußballspiel anschauen. Die gesellschaftliche Bedeutung des Fußballsports in unserem Kulturkreis wird häufig verkannt, doch für mich steht fest, Fußball ist weit mehr als nur eine sportliche Betätigung. Vielmehr sehe ich den Fußballsport als politischen Akteur.
Das zeigte sich beispielsweise, als sich vor ein paar Tagen Mesut Özil und Ilkay Gündogan gemeinsam mit dem türkischen Präsidenten Erdogan ablichten ließen und gemeinsam in die Kameras posierten. Dies löste eine Welle der Empörung und des Entsetzens in der Medienlandschaft aus. Auch in Fankreisen entbrannten durch diesen Umstand angetrieben viele Diskussionen. Rechte Populist*innen nutzten dieses Verhalten, um lawinenartig Debatten von vermeintlich gescheiterter Integration herbeizuschwören.
Ich kritisiere das Verhalten von Özil und Gündogan und sehe darin eine politische Instrumentalisierung von prominenten Personen. Grundsätzlich sollte sich niemand instrumentalisieren lassen, sondern selbstbestimmt und mündig zu den eigenen Überzeugungen stehen. Wenn sich Fußballspieler zu offensichtlich demokratiefeindlichen Regimen bekennen und diese fragwürdigen politischen Systemen ihr Gesicht leihen, ist dies definitiv kritisch zu sehen und zu verurteilen, weil durch die Unterstützung dieser weltbekannten Gesichter dieses Regime in irgendeiner Weise legitimiert wird, was ich in keinem Fall gutheiße.
Wie sich diese Debatte aber im Laufe der Zeit entwickelt, ist beängstigend. Dass Fußballspieler (absichtlich nicht gegendert) mit Migrationshintergrund von ihren eigenen Fans (oder wie auch immer man diese Menschen bezeichnen kann) konsequent ausgepfiffen werden, ist sicherlich nicht nur als Reaktion auf das Verhalten der beiden Spieler einzuschätzen. Vielmehr bietet diese Aktion scheinbar Raum für Rassist*innen und Trittbrettfahrer*innen, die das Verhalten von Özil und Gündogan zum Anlass nehmen, um ihre ekelhaften Vorstellungen, wie sie sich ihre Nationalmannschaft wünschen, in die Öffentlichkeit zu tragen. Hier täte dem DFB gut daran, diesen Nährboden für (latenten) Rassismus unter dem Deckmantel, die Spieler aufgrund ihrer fragwürdigen Aussage zu kritisieren, trocken zu legen und einen Riegel gegenüber jedem rassistischen Verhalten vorzuschieben. Die deutsche Nationalmannschaft stand in den letzten Jahren für gelingende Integration und Vielfalt. Das darf sich in der Zukunft nicht verändern.
Ich finde es nicht richtig, aus diesem Thema eine Debatte über angeblich mangelnde Integration zu machen, denn Özil und Gündogan sind Vorbilder von Millionen Kindern und Jugendlichen und dadurch sind sie vielmehr ein Zeichen für gelungene Integration. Das bezieht sich nicht auf diese unreflektierten Aussagen, sondern auf deren Stellung in der Gesellschaft. In dieser Debatte fällt mir immer wieder auf, wie rückständig unsere Gesellschaft ist, weil einige, wenn ich Kommentare in den sozialen Netzwerken lese, Patriotismus und Heimatliebe als Kriterium für die Daseinsberechtigung in der Nationalmannschaft sehen.
In meinen Augen sind Patriotismus und die Einteilung in Nationalstaaten Ausgrenzungsmechanismen, die eine Grundrivalität zwischen unterschiedlichen Nationen mehr oder weniger voraussetzen, was ich grundsätzlich für problematisch halte.
Ich bin kein Patriot, weil ich die These vertrete, dass man nur auf etwas stolz sein kann, was man selbst beeinflusst und bewusst entschieden hat. Das Heimatland und noch viel mehr das Geburtsland ist nichts anderes als Zufall und deswegen nichts, was mich verpflichtet, für die deutsche Mannschaft zu sein. Wir werden alle mit Nationalstaaten sozialisiert, was den inneren Frieden und die Nationalidentität stärken soll, doch eigentlich baut das Nationalstaatsprinzip Grenzen, die Menschen unnötig voneinander unterscheiden.
Viel besser fände ich es, das ganze System globaler anzugehen.
Fußball ist eine Zusammenführung von verschiedenen Kulturen und das ist auf jeden Fall eine tolle Sache, weil Menschen aus aller Welt zusammenkommen, um friedlich Fußball zu schauen und gemeinsam zu feiern. Das ist der gesellschaftliche Aspekt des Fußballs!
Allerdings hat auch der Fußball meiner Meinung nach 2006 dazu beigetragen, dass Patriotismus wieder salonfähig ist und man wieder stolz sein darf, Deutsche*r zu sein, was meiner Meinung – wenn auch nicht beabsichtigt – dazu beigetragen hat, dass eine nationalkonservative Partei in Deutschland so groß werden konnte.
Ich möchte das sogenannte „Sommermärchen“ 2006 nicht zum Hauptgrund des Rechtsrucks verklären. Das ist definitiv nicht so, aber bei alldem Positiven, was die WM 2006 brachte, war das ein Nebeneffekt, der negativer nicht hätte sein können.
2006 hieß es, endlich dürfe man wieder stolz auf sein Land sein und öffentlich seinen Patriotismus zur Schau tragen. Alle hatten plötzlich Deutschlandfahnen am Auto, am Balkon oder sonst überall angebracht, alles war plötzlich “schwarz rot geil“. Wenn beim Public Viewing mal ‘ne Reichsflagge zwischen den Deutschlandflaggen wehte, schien das niemanden groß zu stören und nach dem Halbfinal-Aus des deutschen Nationalteams (0:2 nach Verlängerung gegen Italien) wurden im ganzen Land Schaufenster von italienischen Restaurants und Pizzerien eingeschlagen.
Die WM, aber auch die nachfolgenden Turniere hatten definitiv einen gewissen Anteil an der immer populärer werdenden Meinung, dass Nationalstolz und Patriotismus was ganz Tolles sind. Folglich war es dann auch kein Wunder, dass irgendwann Leute wie die AfD oder Pegida auftauchten und genau diesen größtenteils unreflektierten Event-Patriotismus ausnutzen. Man hört es ja immer wieder, dass Anhänger*innen dieser beiden Gruppierungen sich selbst überhaupt nicht für rechts halten, sondern meinen, sie wären einfach nur Patriot*innen oder besorgte Bürger*innen.
Das Spezielle am Fußball ist, dass diese Sportart alle Teile der Gesellschaft gleichermaßen anspricht. Egal, welche Hautfarbe oder gesellschaftliche Rolle jemand hat, der Sport Fußball und die Leidenschaft für ein Team schweißt Menschen zusammen, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten.
Fußball ist multidimensionales, gesellschaftliches Phänomen, das eine bedeutende politische Rolle einnimmt! Deswegen sind Fußballer*innen auch sportliche Diplomat*innen und das hat seine Berechtigung. Manchmal würde ich mir wünschen, der Fußball würde sich öfter politisch positionieren und für Zivilcourage und Menschlichkeit noch deutlicher Haltung beziehen.
Nico Wunderle