“Taxation without representation”

Foto: freepik.com

Die Situation von Washington D.C.

Washington D.C. ist die Hauptstadt des Landes, das als eine der ältesten Demokratien gilt: der Vereinigten Staaten von Amerika. Doch wenn es um politische Mitbestimmung geht, haben die Einwohner von Washington D.C. seit Jahren weniger Einflussmöglichkeiten als ihre Mitbürger*innen in den restlichen USA. Der Grund dafür liegt in der Geschichte der Vereinigten Staaten: 

In den Anfangsjahren hat der Kongress – das US-Parlament – noch keinen festen Sitzungsort und hält seine Sitzungen in verschiedenen Städten der Ostküste ab. Doch nachdem Veteranen 1783 versuchen, das Parlament zu zwingen, ihre Interessen umzusetzen, entscheidet der Kongress, dass er ein unabhängiges Gebiet braucht, auf dem er seine Sitzung abhalten kann.

Die US-Verfassung wird deshalb ergänzt: Der Kongress kann nun einen „federal district“ einrichten, auf dessen Territorium er seine Sitzungen abhält. Die Schlüsselbestimmung hierbei: Der Kongress hat das Recht, die Gesetzgebung über dieses Gebiet ausüben zu dürfen. Als Bundesdistrikt wird Washington D.C. (Washington, District of Columbia) erwählt, der Kongress erhält die Kontrolle.

Insbesondere seit dem zweiten Weltkrieg wird die Regel jedoch zunehmend ein Problem, denn: Washington D.C. entwickelt sich zu einer liberalen und progressiven Hauptstadt, während der Kongress immer wieder von konservativen Kräften kontrolliert wird.

Das führt zu Spannungen, denn die Einwohner*innen können Fragen wie die Legalisierung von Drogenkonsum oder schärfere Waffengesetze nicht, so wie die anderen US-Bundesstaaten, für sich regeln. Zudem haben sie keine Vertretung im Kongress – weder Abgeordnete im Repräsentantenhaus noch Senator*innen, müssen aber Bundessteuern zahlen und sind dem Bundesgesetz unterworfen. Als Antwort darauf kommt es schließlich zu Reformen: Ab 1961 dürfen die Washingtoner*innen an Präsidentschaftswahlen teilnehmen. Außerdem erhält die Stadt eine Stadtregierung, die Gesetze und einen Stadthaushalt beschließen kann. 

Also alles gut? Mitnichten!

Auch heute haben die Bürger*innen von D.C. keine gleichwertige Vertretung im Kongress: Lediglich im Repräsentantenhaus werden sie durch Eleanor Holmes Norton als Delegierte ohne Stimmrecht vertreten, im Senat sind sie nicht repräsentiert.

Zudem hat die Stadtregierung faktisch nicht ansatzweise ausreichend Befugnis, die Stadt zu regieren. Das zeigt sich gerade: Als Donald Trump gegen Protestierende vor dem Weißen Haus die Nationalgarde einsetzte, konnte die Stadtregierung nichts unternehmen. Warum? Richtig, weil Washington D.C. kein Bundesstaat ist und damit auch kein Veto gegen Einsätze der Nationalgarde innerhalb der Stadtgrenzen hat.

Und auch die „Gesetzgebungskompetenz“ der Stadtregierung verschafft D.C. noch keine Unabhängigkeit, denn: jedes Gesetz – auch der Stadthaushalt – müssen vom Kongress bestätigt werden.

Zwar weist der Kongress nur selten Gesetze ab, bedient sich stattdessen aber eines Tricks: Bei Gesetzesvorschlägen aus der Hauptstadt werden sogenannte „riders“ angehängt, mit denen Inhalte der Vorlagen gestrichen werden – zumeist die Finanzierung der dem Kongress nicht genehmen Projekte – oder Inhalte ergänzt.

In der Vergangenheit führte das zu unschönen Momenten für die Washingtoner*innen: 2014 versuchten die Republikaner im Kongress die Finanzierung für ein Gesetz zu verhindern, das den Besitz von Cannabis legalisieren sollte (hier fand D.C. eine Gesetzeslücke und konnte die Regelung trotzdem in Kraft setzen) und 2009 verhinderte der Senat die Entsendung von Abgeordneten für Washington D.C. – auf eine Art und Weise, wie man sie in Bayern als hinterfotzig bezeichnet hätte, nämlich, indem er dem Gesetz zustimmte, allerdings einen Zusatz einfügte, der sämtliche Waffenkontrollgesetze in D.C. (dort ist eines der striktesten Waffenrechte der USA in Kraft) aufheben würde und zusätzlich die Einschränkung des Waffenrechts zukünftig verbieten würde.

Als Resultat wurde das Gesetz fallengelassen.

Kein Wunder also, dass die Bewohner*innen von D.C. ihre Anerkennung als 51. Bundesstaat der Vereinigten Staaten zu erreichen versuchen: Ihre Delegierte im Repräsentantenhaus, Eleanor Holmes Norton (sie hat kein Stimmrecht im Plenum des Hauses), hat in den vergangenen Jahren mehrere Gesetzesvorschläge eingebracht, die D.C. zum Bundesstaat machen würden oder zumindest mehr Eigenständigkeit für die Hauptstadt bedeuten würden – alle ohne Erfolg.

Vergangenen Freitag hat das Repräsentantenhaus jedoch „HR 51“ beschlossen. Der Inhalt: Die Abgeordneten wollen Washington D.C. zum 51. US-Bundesstaat machen, mit eigener Legislative, Exekutive und Judikative sowie gleichwertiger Vertretung im Kongress. Für D.C. ist das ein wichtiger Schritt, denn das letzte Gesetz hierzu wurde 1993 im Repräsentantenhaus abgelehnt. Leider heißt das nicht, dass D.C. nun ein Bundesstaat wird, denn: Das Gesetz muss erst durch den Senat und hier haben die Republikaner mit 53 zu 47 Sitzen die Mehrheit.

Die Republikaner sind gegen einen Bundesstaat D.C., denn dieser brächte ihnen – entsprechend dem Wahlverhalten der Stadt bei den letzten Präsidentschaftswahlen – nur demokratische Abgeordnete in das Repräsentantenhaus und zwei Demokraten in den Senat. Dies könnte den Republikanern die Mehrheit kosten. Ob das Gesetz beschlossen wird (was mehr als unwahrscheinlich ist), bleibt abzuwarten. Weiterhin hat jedoch auch Präsident Trump angekündigt, gegen ein solches Gesetz sein Veto einzulegen, damit wäre das Gesetz dann endgültig tot. Theoretisch kann die Vorlage aber nach einem Wahlsieg im November diesen Jahres für Joe Biden und einer Rückeroberung des Senates durch die Demokraten (wenn man an all das glauben mag) immer noch beschlossen werden. 

Fakt ist aber: In einer Demokratie müssen alle Bürger*innen die gleiche Möglichkeit haben, an der Gesetzgebung mitzuwirken – das ist schließlich der Kern einer Demokratie. Die Erhebung von Washington D.C. zum Bundesstaat ist deshalb eine demokratische Notwendigkeit. Und im Bezug auf den Ursprung des D.C.-Desasters: Auch der Schutz des Kongresses ist heute kein Argument für einen „federal district“ – schließlich wird er heute nicht mehr von Cowboys angegriffen und man muss die Polizei nicht mehr mit dem Telegrafen rufen.

 

Autor
Raul Würfl
JSAG-Vertreter im Bezirksvorstand
Diesen Beitrag teilen