Still loving Grundrechte!

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Momentan werden unsere Grundrechte auf eine noch nie dagewesene Weise eingeschränkt. Viele verzichten ohne mit der Wimper zu zucken auf ihre Rechte. Andere verfallen in Panik und fragen sich, wann sie sich je wieder frei bewegen können. Dass manche die Einschränkungen und deren Ausmaß nicht hinterfragen, hängt möglicherweise auch damit zusammen, dass das bewusste Auseinandersetzen mit den Rechten und Pflichten des Staates von jeher in unserer Gesellschaft zu kurz kommt.

 

Was für Grundrechte gibt es eigentlich?

Alle wissen, dass sie Grundrechte haben. Doch auch bei den Grundrechten gibt es unterschiedliche. Es gibt Grundrechte, die gelten nur für deutsche Staatsbürger*innen, und es gibt Grundrechte, die gelten für alle, die sich auf deutschem Boden aufhalten. Es gibt Grundrechte, die werden „schrankenlos“ gewährleistet, und es gibt Grundrechte, die können durch Gesetze beschränkt werden.

Die Religionsfreiheit ist zum Beispiel ein Grundrecht, das schrankenlos gewährleistet werden muss. Die Religionsfreiheit kann daher nur dann eingeschränkt werden, wenn ein anderes Grundrecht in einer Abwägung mehr wiegt. Momentan sind zum Beispiel Gottesdienste untersagt – es liegt also eine Einschränkung der Religionsfreiheit vor. Allerdings gibt es im Grundgesetz auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit und dieses Grundrecht – so zumindest hat es der Gesetzgeber entschieden – ist gerade wichtiger, als das Recht, seine Religion frei auszuüben.  

Andere Grundrechte können „einfach“ durch Gesetze eingeschränkt werden. Die meisten Gesetze tun dies im Übrigen auch. Das Mindestlohngesetz schränkt die unternehmerische Freiheit ein, die Arbeitsschutzgesetze die berufliche Freiheit, die Polizeigesetze unter anderem unsere persönliche Freiheit.

 

Wie funktioniert das jetzt gerade bei Corona?

Damit unsere Grundrechte eingeschränkt werden können, braucht es immer eine Ermächtigungsgrundlage. Diese schafft der Gesetzgeber durch ein Gesetz. Momentan ist dies das Bundesinfektionsschutzgesetz. Dieses Gesetz findet immer dann Anwendung, wenn eine der Krankheiten, die in §6 Bundesinfektionsschutzgesetz genannt sind, in Deutschland auftritt. Darunter fallen zum Beispiel die Pest oder ein Ausbruch der Masern.

Logischerweise stand bis vor kurzem Covid 19 gar nicht in diesem Gesetz. Dies hat der Bundestag mit einer Verordnung im Februar geändert. Damit konnte man dann alle Maßnahmen nach dem Bundesinfektionsschutzgesetz anwenden.

Das Bundesinfektionsschutzgesetz erlaubt es den Ländern verschiedene Maßnahmen zu ergreifen. In § 32 steht ganz klar:

Die Grundrechte der Freiheit der Person, der Freizügigkeit, der Versammlungsfreiheit, der Unverletzlichkeit der Wohnung und des Brief- und Postgeheimnisses können (…) eingeschränkt werden.“

Das Bundesinfektionsschutzgesetz gibt dabei den Ländern Maßnahmen an die Hand, die sie ergreifen können. Diese sind vor allem auf Prävention ausgelegt und beinhalten Maßnahmen zur Quarantäne, Beobachtung von Personen und dem Durchführen medizinischer Tests. Interessanterweise war das Verhängen von umfassenden Ausgangsbeschränkungen eigentlich im Gesetz nicht vorgesehen. Auch das musste der Bundestag erst in das Gesetz hineinschreiben.

Die ganzen Allgemeinverfügungen, die gerade in Bayern erlassen werden, finden also alle ihre Grundlage im Bundesinfektionsschutzgesetz.

 

Bayern legt natürlich noch ‘ne Schippe drauf

Das Bundesinfektionsschutzgesetz war der Staatsregierung in Bayern nicht genug. Daher hat der Bayerische Landtag am 25.03.2020 das Bayerische Infektionsschutzgesetz beschlossen. Wenn man über dieses sprechen will, muss man am Anfang der Dinge anfangen.

Ein Bundesland kann nur dann eigene Gesetze erlassen, wenn es in dem Bereich zuständig ist („Bildung ist Ländersache“) oder der Themenbereich Teil der konkurrierenden Gesetzgebung ist. Bei der konkurrierenden Gesetzgebung ist es so, dass die Bundesländer nur so lange ein Gesetz in dem entsprechenden Themenbereich erlassen können, solange der Bund dies noch nicht getan hat.

Gesetze gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten zu erlassen, ist Teil der konkurrierenden Gesetzgebung und der Bund hat hier schon ein Gesetz erlassen. Bayern hätte also eigentlich gar kein eigenes erlassen dürfen.

Die Bayerische Staatsregierung argumentiert hier aber, dass das Bundesinfektionsschutzgesetz lediglich präventiven Charakter für die Menschen habe, mit dem Bayerischen Infektionsschutzgesetz wolle man das Gesundheitssystem schützen – man habe also etwas geregelt, dass der Bund noch nicht geregelt habe.

Nach dem Bayerischen Infektionsschutzgesetz muss man den „Gesundheitsnotstand“ ausrufen, um die dort festgelegten Maßnahmen ergreifen zu können. Hat man dies getan, dann kann man medizinisches Material beschlagnahmen, die Produktion von medizinischem Material anordnen und die Menschen zur Arbeit in den Gesundheitseinrichtungen zwingen. Zu letzterem gehören vor allem Menschen, die eine medizinische Ausbildung haben und bereits in Rente sind oder inzwischen einen anderen Beruf ausüben.

Bis jetzt hat Bayern den Gesundheitsnotstand noch nicht ausgerufen und ob das Gesetz so möglich ist, ist zumindest fraglich. Auch der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat sich hierzu bereits kritisch geäußert.

 

Wenn alles schnell passiert, dann passieren Fehler

Gerade passiert sehr viel sehr schnell. Das kann zu Fehlern führen oder Eingriffen, die nicht mit unserem Grundgesetz vereinbar sind.

In diesem Zusammenhang ist zum Beispiel die in Bayern erfolgte Briefwahl zur Stichwahl als möglicherweise verfassungswidrig zu deklarieren. Damit in Bayern die Stichwahl ausschließlich per Briefwahl durchgeführt werden konnte, hat der Landtag das Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz geändert. Die Briefwahl schränkt das Recht auf freie, geheime und gleiche Wahl nach Art. 38 GG jedoch ein. Die Briefwahl kann zumindest nicht gewährleisten, dass die ersten zwei Kriterien erfüllt sind. Hierzu gibt es auch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das sagt, dass die Briefwahl nur so lange erlaubt sein kann, solange sie die Ausnahme bleibt.

Das Recht auf freie, geheime und gleiche Wahl ist ein schrankenlos gewährleistetes Grundrecht. Das heißt, es kann nur durch andere Verfassungsrechte eingeschränkt werden. Die Bayerische Staatsregierung argumentiert hier, dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit hier schwerer gewogen habe und deshalb die bayernweite Briefwahl gerechtfertigt gewesen wäre. Aber war die Briefwahl wirklich das mildeste Mittel, um die Wahlen mit einer möglichst niedrigen Infektionsquote durchzuführen? Hätte man die Wahl nicht über einen längeren Zeitraum stattfinden lassen können, hätte man für die Wahl nicht Termine vergeben können, um so einen stetigen, aber kleinen Menschenfluss zu gewährleisten? Hätte man schon. Macht das die Wahl unrechtmäßig? Wenn wir Pech haben schon.  

Als weiteres Beispiel ist die Datenweitergabe von infizierten Personen durch das baden-württembergische Gesundheitsministerium an die Polizei zu nennen. Hier fehlte es komplett an einer Rechtsgrundlage. Abgesehen davon, dass die Notwendigkeit dieser Informationsweitergabe schon in Frage gestellt werden muss, ist hier in das Recht auf informationelle Selbstbestimmtheit eingegriffen worden, ohne dass dies erlaubt gewesen ist. Also ein klarer rechtswidriger Grundrechtseingriff.

Auch unsere Genoss*innen in Mecklenburg-Vorpommern haben einmal ordentlich daneben gegriffen, als sie das Reisen auf die Inseln und an die Nordsee in den Osterfeiertagen verbieten wollten. Dies war eine unverhältnismäßige Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit und der persönlichen Freiheit. Die Verfügung wurde durch das Gericht wieder aufgehoben.

 

Erst denken und dann handeln

Es lässt sich also beobachten, dass Panik und Übereiltheit keine guten Ratgeber sind. Auch die Attitüde, die man in Bayern sehr häufig beobachten kann, dass man erst ein Gesetz erlässt und sich danach überlegt, ob man damit unverhältnismäßig in Grundrechte eingegriffen hat, ist etwas, das man niemals gutheißen kann. Gerade jetzt haben wir als Politiker*innen die Verantwortung ausgewogen und angemessen zu entscheiden. Auch wenn manchen in unserer Gesellschaft gerade nicht bewusst ist, was wir gerade aufgeben und was wir gerade nicht mehr haben, darf dies von uns niemals vergessen werden. Insbesondere sind wir dafür zuständig, dass alle Rechte wieder zurückgegeben werden. Das gilt es dann von allen kritisch zu beobachten und zu bezeugen.

Darüber hinaus ist aber auch klar, dass viele der Maßnahmen zu Recht erlassen wurden, um den Schutz der Gesundheit von uns allen zu gewährleisten. Daher ist das Abstandhalten oder das Munschutztragen nicht nur eine Grundrechtseinschränkung, sondern hat auch etwas mit Solidarität zu tun.

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